Der Baumstumpf

1

Ein Stumpf, wo einst ein Baum sich reckte,

seine Zweige lichtwärts streckte,

den Vögeln Heim und Zuflucht bot,

er steht nicht mehr, jetzt ist er tot.

2

Es hieß, dass er befallen sei,

vom Pilz zerfressen, und dabei

schien’s ihm noch gestern gut zu gehen.

Ich sah ihn hier im Sturme stehen,

3

wie er sich wiegte, wie er lachte,

sich bog, dass seine Rinde krachte,

mit den Ästen um sich schlug

und doch des Windes Macht ertrug.

4

Heut kamen sie, zu früher Stunde,

rauchten sich noch eine Runde.

Nun fix gefällt,  Tatsachen schaffen,

bevor sie lamentier’n und gaffen,

5

sich erregen und ereifern,

irgendwas von Baumschutz geifern.

Liegt der Stamm erst einmal quer,

hat er keine Lobby mehr.

6

Als man die Säge an ihn setzte,

die kreischend ihm das Mark zerfetzte,

war’s rasend schnell um ihn geschehn.

Nur den Stumpf ließen sie stehn.

Baumgedichte – Gedichte in Bäumen

Ich habe endlich einen Weg gefunden, meine Gedichte einem größeren Publikum näher zu bringen, abgesehen von dieser Plattform. Nein, ich habe keine Lesung veranstaltet, und ich habe auch nicht den Traum eines jeden Dichters, eine Veröffentlichung, erfüllt bekommen. Ich habe mir eine eigene Plattform geschaffen. Ich hänge sie in Bäume. Natürlich hänge ich sie nicht in 22 Meter Höhe in den Teutoburger Wald, wo nur selten jemand vorbeikommt, der gleichzeitig ein sehr gutes Zeiss-Glas mit sich führt, um die Texte vom Waldboden aus zu studieren. Ich bin nämlich schlau. Ich habe sie in Alleebäume gehängt, die einen sehr schönen und häufig begangenen Grünzug im Bielefelder Osten säumen. Obwohl der Bielefelder Osten, in dem auch ich lebe, von einem nicht unerheblichen Anteil Menschen bewohnt wird, die der eine oder andere vielleicht hinter vorgehaltener Hand als bildungsfern bezeichnen würde, bin ich doch voll guter Hoffnung, dass sich immer mal jemand erbarmt und vor den Bäumen, an denen meine Gedichte in 2,5 Meter Höhe hängen, stehen bleibt und sie ergriffen verinnerlicht.

Heute Abend schritt ich zur Tat. 2 Gedichte, fett gedruckt im DinA4-Format und laminiert, hängen mit Hilfe einer Drahtöse(lies Draht-Öse) an dünnen Ästen. Die offene Öse ist mit einem Widerhaken gesichert und kann nur manuell wieder vom Ast gelöst werden. Platziert habe ich die Konstruktion mit Hilfe eines langen Bambusstabes, der einerseits mit einer Gabel versehen ist, um die Öse über den Ast zu heben, andererseits mit einem seitlichen Haken versehen ist, um die Öse nach unten über den Ast zu ziehen.

Die Texte sind vom Boden aus ohne Hilfsmittel unerreichbar, aber doch lesbar. Niemand wird gezwungen, sich mit ihnen zu beschäftigen, und gleichzeitig sind sie jedem Menschen frei zugänglich. Ich fahre diesen Weg täglich zur Arbeit und bin ganz gespannt, ob ich irgend eine Resonanz erleben werde.