Heute…nein, gestern, es ist ja früher Morgen. Es ist noch dunkel. Durch die großen Fenster des Aufenthaltsraums sehe ich die Lichter Bielefelds, die Dämmerung lässt noch auf sich warten.
Also gestern. Ich saß im Rollstuhl im Wartebereich einer Funktionsabteilung, vielleicht Ultraschall, ich weiß es nicht mehr. Egal, Madddin saß im Rollstuhl, gegen seinen Willen. ‚Sie sind Überwachter‘, entgegnete die Schwester auf meinen Vorschlag, zu Fuß zu gehen, das sei doch auch gesund und so. ‚Sie müssen gefahren werden, sonst sindse nich versichert‘.
Okay, ich fügte mich und wurde 4 Stockwerke tiefer befördert und im besagten Wartebereich abgestellt. Dort stand ich nun. Und wartete. Nach einiger Zeit kam mir in den Sinn, dass der Bereich seinen Namen durchaus zu Recht trägt. In der Apotheke handhaben wir das ja anders und kümmern uns um die Kunden, bevor sie Spinnweben ansetzen.
Der alte Herr im Rollstuhl neben mir wurde ungeduldig und schimpfte vor sich hin. Ich überlegte, ob ich ihm erklären sollte, dass Patient ‚der Geduldige‘ bedeutet, unterließ es aber, mir war momentan nicht nach Smalltalk zumute.
Ich ließ meinen Blick schweifen. Das mache ich gerne und finde regelmäßig die alleralbernsten Belanglosigkeiten, denen es gelingt, mich zu fesseln.
Wie zum Beispiel der Fußboden. Seine Farbe ein kräftiges Demenzgrau, wohlwollend unterbrochen von einigen mutmaßlich später und willkürlich eingefügten Plastikfliesen, deren Farben eher ins nebelgraue spielten, ihr wisst schon, dieser Nebel, den die älteren von euch noch aus Edgar-Wallace-Filmen kennen.
Die Wände waren im klassischen Krankenhausgelb gehalten. Es gibt 2 klassische Krankenhausfarben: gelb und grün. Beide sind von einer mutmaßlich durch eine DIN geregelten Blässe, als Vorlage dienten die Beläge einer ausgereiften Mandelentzündung.
Mein Blick glitt zur Decke. Ah, wie schön, da waren sie! Fein gelochte Deckenplatten, quadratisch, wahre Prachtexemplare, regelmäßig in Reihen gelocht.
Ihr ahnt, welche Frage mich als nächstes beschäftigte? WIEVIEL LÖCHER HAT EINE PLATTE! Habt ihr mal versucht, die Anzahl der Löcher in so einer Platte zu ermitteln? Ganz schön knifflig, sag ich euch, weil ihr nicht nah genug heran kommt, um sie abzuzählen.
Die theoretische Vorgehensweise ist ja simpel. Ihr zählt die Anzahl der Löcher einer Reihe und habt zugleich die Anzahl der Reihen ermittelt, da die Platte quadratisch ist. Ihr multipliziert die Anzahl mit sich selbst und habt das Ergebnis.
Ich versuchte zunächst, die Löcher einer Reihe zu zählen. Meine Mühen waren vergeblich, schon nach wenigen Additionen fingen meine Pupillen an zu schwirren und verloren die Orientierung. Es war mir nicht möglich, ein Loch zu fixieren. Nach 2 weiteren Versuchen gab ich das Zählen auf und verlegte mich aufs Schätzen.
Wieviel Löcher passten in einen Dezimeter, und wieviel Dezimeter hatte eine Reihe? Das funktionierte recht gut und ergab ungefähr 100. Ich pfiff innerlich durch die Zähne, so viel hatte ich nicht erwartet. Ich entschied mich zu einer Gegenkontrolle. Wieviel Löcher passten hinter einen ausgestreckten Daumen bei langem Arm, und wieviel Daumen passten nebeneinander in eine Reihe?
Ich weiß nicht, was meine Mitgenesenden auf den anderen Rollstühlen dachten, als sie mich sahen, wie ich den Arm senkrecht in die Höhe streckte, den Daumen abspreizte und intensiv blinzelnd an die Decke starrte, als wollte ich ein Insekt erdolchen. Niemand äußerte sich, vielleicht nahm es auch niemand zur Kenntnis.
Ich kam auf ein ähnliches Ergebnis wie bei der vorangegangenen Schätzung, ca 100 Löcher pro Reihe. Also 10000 pro Platte! Mannomann, hätte ich nicht gedacht. Ich schwelgte noch in dieser Erkenntnis, als eine weibliche Stimme mich aus meinen Gedanken riss. ‚Herr Pierick? Sie sind der nächste.‘
Wie gut, dass da Humor ist! Wie gerne habe ich das gelesen, und wie sehr hoffe ich, dass „alles gut“ wird!
Gruß von Sonja
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Danke, Sonja! Ich freue mich, dass dir Text gefallen hat, und es ist wirklich so gewesen.
Hab einen wunderschönen Tag!
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Dazu passt irgendwie ein Zitat von Ringelnatz „Humor ist der Knopf, der verhindert, daß uns der Kragen platzt“ und zumindest ist es gut, dass du bei allem deinen Humor beibehalten hast!
Drück dir weiterhin ganz feste die Daumen… Alles wird gut!🍀🍀🍀
Liebe Grüße, Hanne
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Ich gebe alles, liebe Hanne🙂
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Schön, dass Du wenigstens Deinen Humor behalten hast, das lässt hoffen. Komm schnell wieder auf die Beine! Liebe Grüße Hedwig
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Ich gebe alles, liebe Hedwig 🙂
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